Um die gegenwärtige Situation in den internationalen Beziehungen zu verstehen, ist es notwendig, die Veränderungen für die
dominierenden Wirtschafts- und Militärmächte - die USA, China und Russland - zu analysieren.
Die Veränderungen der globalen Handelsmuster und Wirtschaftsbeziehungen in den letzten 10 bis 20 Jahren zeigen ein starkes Wachstum
der wirtschaftlichen Marktmacht und der globalen Handelsbeziehungen Chinas [1][2]. Eine Entwicklung, die zum gegenwärtigen
Handelskrieg zwischen den USA und China führte. In den letzten 30 Jahren, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, waren die USA der
alleinige politische, militärische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Führer der Welt, seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren
sie bereits die stärkste Wirtschaftsmacht. Die Entwicklungen in China stellen diese Position nun infrage. Die wichtige Frage ist, ob
dies zu einer bipolaren oder multipolaren Weltordnung führen wird. Im ersten Fall, einer bipolaren Welt, mit den USA und China
als Polen, können wir ernsthafte Probleme in den internationalen Beziehungen erwarten. Der zweite Fall, eine multipolare Welt
mit mehreren unabhängigen Mächten, könnte für die internationalen Beziehungen viel positiver sein.
Es gibt mehrere Faktoren, die den internationalen Einfluss von Staaten bestimmen. Der Einfluss hängt immer von ihrer Bedeutung für
große Gruppen anderer Länder ab. Diese Bedeutung wird normalerweise durch mehrere Faktoren bestimmt, wie wirtschaftliche Marktmacht
(d.h. Bedeutung als Markt, an den andere Länder ihre Produkte und Dienstleistungen verkaufen oder von dem sie Rohstoffe, Komponenten, komplette
Produkte und Dienstleistungen kaufen können), Regionen, in denen das Land wichtige Zugangspunkte zu Handelsrouten (z. B. Suez-
oder Panamakanal, Bosporus) kontrolliert, historische Verbindungen zwischen Ländern (z. B. das britische Commonwealth) und militärische Verbände wie
die NATO. In diesem Artikel konzentrieren wir uns auf die wirtschaftlichen und handelsbezogenen Aspekte. Diese Aspekte können natürlich
auch von geografischen Gegebenheiten wie dem Zugang zu Handelswegen abhängen.
Nun gibt es viele Anzeichen dafür, dass sich die Veränderungen in den internationalen Beziehungen und der wirtschaftlichen Bedeutung
nicht in den gegenwärtigen Organisationen der Welt widerspiegeln.
Das erste Beispiel sind die Vereinten Nationen (UNO). Im Juni 2022 gab es 193 Mitgliedsländer. Darunter Nauru (10'000 Einwohner), San Marino
(30'000 Einwohner), Liechtenstein und Monaco ( je 40'000 Einwoner). Aber auch China (1.7 Milliarden Einwohner) und Indien
(1.7 Milliarden Einwohner). In der Vollversammung hat jedes Mitgliedsland eine Stimme, unabhängig von der Anzahl der Menschen, die von
diesem Land repräsentiert werden. Die Euröpäische Union hat 2022 27 Mitgliedsländer, die alle in der UNO sind. D.h. die
EU hat 27 Stimmen, die 477 Millionen Menschen repräsentieren. China und Indien mit insgesamt 3.4 Milliarden Einwohners haben aber
zusammen nur 2 Stimmen. Der Sicherheitrat der UNO hat 15 Mitglieder, davon sind 5 permanente Mitglieder mit Vetorecht: China, USA,
Russland, Frankreich und Grossbritannien. Alle waren Gewinner des Zweiten Weltkriegs (China durch den Chinesisch-Japanischen Krieg) und
Gründungsmitglieder der UNO im Jahr 1945. Die anderen 10 Mitglieder des Sicherheitsrates werden jeweils für 2 Jahre gewählt.
Schauen wir uns nun die sogenannte G7-Gruppe an. Diese
informelle Gruppe wird verwendet, um viele wichtige wirtschaftliche und finanzielle Aspekte zwischen allen Ländern der Welt zu diskutieren,
und sie bereitet viele wirtschaftliche und politische Entscheidungen ihrer Mitglieder vor. Die folgende Tabelle zeigt eine Liste
der Länder, die nach ihren BIP-Werten geordnet sind. 7 der 9 aufgelisteten Länder sind Mitglieder der G7-Gruppe, aber China,
das als Nummer 2 eingestuft wird, und Indien, das als Nummer 6 eingestuft wird, sind es nicht. Aber Frankreich, Italien und
Kanada, alle mit niedrigerem BIP als Indien, sind G7-Mitglieder.
Die Gesamtheit aller G7-Mitglieder repräsentiert weniger als 10 % der Weltbevölkerung und Japan ist das einzige
asiatische Land in der Gruppe. Es gibt keine Länder aus Afrika oder Südamerika. Andererseits repräsentieren allein die
5 größten Länder aus Asien, Afrika und Südamerika zusammen – China, Indien, Russland, Brasilien und Südafrika (die BRICS Gruppe) – mehr als
40 % der Weltbevölkerung. Die BRICS Gruppe wurde offiziell 2006 gegründet.
Land | BIP 2020 (% Welt GP) | BIP Rang | Population 2018 (% Welt) | G7 Mitglieder |
---|---|---|---|---|
USA | 24.7 | 1 | 4.14 | Ja |
China | 17.4 | 2 | 17.78 | NEIN |
Japan | 6.0 | 3 | 1.60 | Ja |
Deutschland | 4.5 | 4 | 1.05 | Ja |
Großbritannien | 3.2 | 5 | 0.84 | Ja |
Indien | 3.1 | 6 | 17.14 | NEIN |
Frankreich | 3.1 | 7 | 0.85 | Ja |
Italien | 2.2 | 8 | 0.77 | Ja |
Kanada | 1.9 | 9 | 0.77 | Ja |
Nachdem wir die Hintergründe des Handelskrieges zwischen den USA und China analysiert haben, müssen wir uns mit den Beziehungen beider
Länder zu Russland befassen, um die gegenwärtige globale Situation zu verstehen.
Wirtschaftlich ist Russland für die USA keine Bedrohung. Es stört jedoch die Ambitionen und politischen Ziele der USA auf zweierlei
Weise. Erstens die Abhängigkeit einer großen Zahl von Ländern der Europäischen Union von Energielieferungen aus Russland. Zweitens stören
Russlands militärische Entwicklung und Aktivitäten die Aktivitäten der USA. Russland modernisiert umfassend seine Militärsysteme,
insbesondere seine nukleare Triade aus see-, land- und luftgestützten Flugkörpern[11]. Ein Ziel der militärischen Entwicklung Russlands ist
es, sicherzustellen, dass das russische System jeden angreifenden Feind noch vollständig vernichten kann, selbst wenn ein Großteil seiner
Militärsysteme bei einem Überraschungsangriff eliminiert würde. Um dies zu erreichen, ist seine Triade aus see-, land- und luftgestützten
Flugkörpern stark automatisiert. Die nichtnuklearen Teile des modernisierten russischen Militärs wurden bereits erfolgreich eingesetzt, um
den Erfolg der US-Militärpläne im Nahen Osten zu verhindern[12]. Ausserdem gab es schon in 2019 gemeinsame militärische Manöver mit China[13].
Die USA verfolgen jedoch nach wie vor ihre weltweite Expansionsstrategie,
wie sie Zbigniew Brzezinski (1966-1968 Berater von US-Präsident Lyndon B. Johnson und 1977-1981 Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy
Carter) in seinem Buch „The grand chessboard: American Primacy and its geostrategic imperatives" entwickelt und beschrieben hat. Der Führungsanspruch
der USA in Brzezinski's Strategie basiert aber auf der Voraussetzung einer eindeutigen und klar ersichtbaren globalen Führungsrolle in Militär, Wirtschaft,
Handel, und Technologie. Diese Führungsrolle ist aber so nicht mehr gegeben. Deshalb ist diese Strategie natürlich für China und Russland
ein Gräuel und kann auch für viele andere Länder inakzeptabel sein. Daher ist die gegenwärtige Eskalation kein Krieg Russlands gegen
alle, sondern ein Kampf um die Vormachtstellung der USA in der Welt. Dies wird auch aus einem aktuellen Interview mit Henry Kissinger (ehemaliger
Aussenminister und vorher Sicherheitsberater der USA) deutlich[14]. Er erklärt darin drei wichtige Punkte. Erstens, die Aspekte und Probleme der
"divide and conquer" Strategie der USA, gegen die derzeitige Zusammenarbeit von China und Russland, zweitens, das es hier klar um die Interessen
und Vormachtstellung der USA geht, und drittens, die Gefährlichkeit der neuen Waffen, die alles übertrifft, was man sich bisher vorstellen konnte.
Interessant wird in diesem Zusammenhang die Studie des New Yorker Investmentmanagers Ray Dalio[15]. Er untersuchte die Gründe für unerwartete
Börsencrashs und stellte fest, dass diese unerwarteten Ereignisse schon früher passierten, aber unerwartet waren, weil sie sich in einem
Zeitrahmen wiederholten, der größer war als der eines Menschenlebens. Nur durch das Studium längerer Zeitskalen in der Geschichte konnte er
sie verstehen. Er fand mehrere Zyklen mit unterschiedlichen Zeitskalen. Der Zyklus mit der größten Zeitskala beschreibt den Aufstieg und Fall
von Imperien, was natürlich zu Veränderungen in der Weltordnung führt. Ich möchte nicht auf die Details seiner Ergebnisse eingehen, Sie können
sie selbst nachschlagen [16][17]. Ich möchte nur zwei Punkte erwähnen - er sagt voraus, dass wir uns jetzt am Übergang vom amerikanischen zum
chinesischen Imperium befinden, und er findet, dass solche Veränderungen oft mit Zeiten großer internationaler Konflikte verbunden sind.
Ein neuer Bericht vom "Bennett Institute for Public Policy" der Universität Cambridge (UK) [18-20] zeigt eine Spaltung der
Welt, die sich deutlich verschärft hat. Die Version in [19] weisst dabei deutlich darauf hin, dass die Gruppe mit starker Neigung zu den USA
ungefähr 1.2 Milliarden Menschen (16% der Weltbevölkerung) umfasst, während die Gegengruppe ungefähr 6.3 Milliarden Menschen (84% der Weltbevölkerung) umfasst.
Die pro-USA Gruppe entspricht den sogenannten wirtschaftlich entwickelten, reichen Ländern, die Gegengruppe den noch in Entwicklung befindlichen, ärmeren Ländern.
Wenn wir all diese Aspekte zusammen betrachten, kann die aktuelle Situation leicht zu einem dritten Weltkrieg eskalieren.
© Clauberg R., 2022-2023
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